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Tanz in Bern 2020 sollte unter dem Thema «Dear Darkness» eine Vielzahl von Künstler*innen in die Dampfzentrale Bern bringen. Geplant waren neben Performances auf der Bühne auch viele Events daneben, im digitalen Raum und vor Ort. Mehrere Autor*innen schrieben Nachtgeschichten und lasen diese ein, wir stellten das Team hinter den Kulissen vor und führten Skype-Interviews mit den Choreograf*innen.

Ein Auftrag ging an Sascha Rijkeboer. Sascha baten wir, aus den Pressebildern der Tanzstücke Memes zu kreieren. Leider wurde Tanz in Bern 2020 am Tag vor der Eröffnung abgesagt, weshalb wir die Memes bis auf eines nicht zeigen konnten. Das eine Meme, das «Distracted Boyfriend Meme», posteten wir in den Wochen vor der Eröffnung ohne Kontext auf Instagram, wo es direkt auf kritische Stimmen stiess. Unter anderem kommentierte Geneva Moser «Sexismus ist nie sexy». Wir löschten darauf hin den Post und luden Sascha und Geneva zum Gespräch ein:

Das Meme nennt sich «distracted Boyfriend Meme» und zeigt drei weisse Menschen, wahrscheinlich auf einem Bummel in der Stadt. Die männliche Person in der Mitte schaut/pfeift einer weiblichen Person nach, eine andere weibliche Person, die die Hand der nachpfeifenden Person hält, schaut empört zu ihr auf. Die Personen sind mit Text beschriftet: Die Person die wegläuft heisst «Tanz in Bern», «Audience» pfeift ihr nach «Impulstanz» schaut empört.

Meme «Distracted Boyfriend» in der ersten Version von Sascha.

Sascha:

Guten Morgen Geneva

Erinnerst Du Dich noch? Ich habe für die Dampfzentrale, fürs Tanz in Bern, Memes erstellt. Du hast kommentiert „Sexismus ist nie sexy“. Würdest Du das immer noch unter dieses Bild kommentieren?

Geneva:

Salü! Ja ich erinnere mich an das Bild und meinen Kommentar. Und: Ich würde auch heute noch so kommentieren. Ohne von Autor*in und Kontext des Bildes zu wissen, sehe ich ja erst mal eine männlich gelesene Person, die einer weiblich gelesenen Person hinterherschaut. Es sieht aus, als würd diese schauende Person pfeifen und ihr Blick ist auf Po-Höhe der betrachteten Person gerichtet. Da klingeln bei mir ganz viele Sexismus-Alarm-Glöckchen von Street Harassment, Objektivierung, Normalisierung von sexueller Belästigung usw. Je mehr ich über das Bild nachdenke, desto mehr fällt mir darin auf 🙂 Umgekehrt gefragt: Würdest du das Meme heute noch posten, nachdem es Kritik am Meme gab?

Sascha:

Hmm… Für mich sind eben wie zwei Ebenen da: Eine, die genau das aufgreift, das Du besprichst, die sexisistisch ist. Ich danke Dir auch für Deine Ausführungen wieso die Szene sexistisch ist, ich habe auch darüber nachgedacht, es aber nie so differenziert. Ich erinnere mich vage, wie ich mich damals fühlte, als das Meme aufkam: Ich habe mich total geärgert, dass ein so sexistischer Blick unhinterfragt viral geht. Ich kannte damals (gefühlt: 2017) keine Reflexionen in diese Richtung und fühle mich als kritische*r euphorische*r Konsument*in von Memes ziemlich alleine.

Mittlerweile glaube ich, habe ich ne Art meta-memetischen Zugang zu dem Meme gefunden, so dass ich seine Baseline oder seine Bildfläche gar nicht mehr sehe. Die Szene als Bild hat sich für mich völlig entfremdet und steht nur noch für einen Rahmen, der aussagt: Irgendjemand ist irgendwas verbunden und sieht dann etwas, das noch lässiger ist. Ich bin mir bewusst, dass die Perzeption von Tanz in Bern wahrscheinlich die des Impulstanz nicht überragt, drum fand ich das eine freche Aneignung. In meinem – mittlerweile verwaschenen – Selbstverständnis würde ich das Meme also wieder so gestalten und posten. Weil sich für mich die sexistische Szene durch ihre Multiplikation aus dem Bild herausgelöst hat. Aber nicht, ohne Dir Recht zu geben: Die Szene ist in sich sexistisch.

Geneva:

Ja das es zwei Ebenen in dem Meme gibt, denke ich auch. Die Ebene, in der ein relativ kleines, lokales Tanzfestival wie das Tanz in Bern einem internationalen, etablierten und einflussreichen Tanzfestival Impulstanz gegenüber gestellt wird, also eigentlich: darüber gestellt wird, finde ich subversiv und witzig.

Ich denke aber, dass die Bildebene stark wirkt bei dem Meme. Und die ist wenig subversiv: Drei normschöne, able-bodied, weisse Menschen in einem sehr heteronormativen und mononormativen Beziehungsmoment. Ich finde es beispielsweise sehr ärgerlich, wie hier Eifersucht gezeigt wird. Liebesbeziehungen werden nicht selten als Besitzverhältnisse dargestellt und verstanden. Darin gilt Eifersucht dann als der ultimative Liebesbeweis. Die tragische Spitze davon ist, dass Medien regelmässig bei einem Femizid Dinge schreiben wie: «Er tötete aus Eifersucht» – als wäre das dann irgendwie gerechtfertigt, weil sie ihn ja betrogen hat. Das bringt dann noch eine weitere Dimension von Sexismus in dem Bild ins Spiel: Es ist sooo stereotyp, dieses Bild, dass Männer ständig anderen Frauen hinterher schauen wollen und ihre eifersüchtigen Freundinnen dann empört sind. Dieses Bild vom sexuell hyperaktiven Mann und der domestizierten und domestizierenden Frau mag ich auch nicht mehr sehen und hören… Du siehst – ich kann mich ganz schön ärgern über das Bild 😀

Du sagst ja, dass das Meme sich aus dieser Bildebene herauslösen könne. Wie meinst du das? Wie kann das gelingen?

Sascha:

Wenn ich das Meme ansehe, sehe ich den Sexismus/die Bildebene nicht mehr. Ich sehe nur noch das Meme an sich also wie es mit variabler Bedeutung aufgeladen und repliziert wird, ich sehe quasi nur noch seine mathematische Funktion. Das meine ich, wenn ich sage, dass es sich herauslöst. Ich kann aber auch das Bild und seine Szene ansehen, dann sehe ich den Sexismus. Ich habe mich beim Gedanken ertappt zu schreiben «das ist halt Meme-Kultur, Geneva!», dann habe ich gemerkt, wie bescheuert das ist.

Geneva:

Haha 🙂 ja, das scheine ich in der Tat nicht zu verstehen. In meinem Verständnis ist der Witz an einem Meme gerade, dass sich eine zweite Bedeutung über eine erste legt. Diese zweite Bedeutung funktioniert nur zusammen mit der ersten. Ich glaube nicht, dass das Bild hinter der zweiten Bedeutung verschwindet – ist doch nötig, damit das Meme überhaupt funktioniert. So lese ich zumindest Memes…

Sascha:

Genau, aber wenn ich ein Meme 150-mal gesehen habe, sehe ich irgendwann nur noch die Funktion der Bedeutung, aber nicht mehr die Bedeutung selbst. Das ist ja das krasse an Memes: Sie sind lustig, weil sie ultraschnell Bedeutungsmuster reproduzieren, die schon bekannt sind. In der Regel muss man ein Meme ja nicht lange anschauen und sich die Bedeutung erschliessen (also ausser vielleicht beim ersten Anschauen?). Wahrscheinlich sind auch die Leute in Schweden genau dieser Blindheit aufgelaufen, als sie das Meme für eine Werbekampagne verwendeten und sich einem Sexismusvorwurf stellen mussten.

The Distracted Boyfriend Who Took Over the Internet Is Deemed Sexist in Sweden

Geneva:

We agree to disagree, würd ich sagen. Diese Funktion, die du Memes attestierst, verstehe ich – aber ich glaube tatsächlich nicht daran. Gerade bei diesem Bild ist das Bild ein starkes Kommunikationsmittel, was nicht komplett überlagert werden kann. Zudem finde ich es trotz der Überlagerung nicer, eben Bilder zu verwenden, hinter denen man auch an sich stehen kann. Einfach weil das Bild nicht wirkungslos bleibt. Wenn ich beispielsweise ständig nur weisse Personen sehe – auch in Memes, auf Insta usw. – dann macht das was mit mir.

Sascha:

Ja, es ist wirklich nicer Bilder zu verwenden, hinter denen man stehen kann. Ich glaube, ich habe mir gar nichts mehr dabei gedacht – eben aus genau der beschriebenen Sehgewohnheit. Ich erinnere mich, dass ich mich gleichermassen über das Meme ärgerte, als es aufkam. Aber dann irgendwann aufgab mich darüber zu ärgern, weil ich nicht mehr Memes anschauen könnte (ich kann ja nicht steuern, ob das plötzlich aufploppt). Es gibt aber trotzdem Memes, wo ich es bis heute nicht schaffe diese Bildebene wegzudenken, so dass ich sie irgendwann vergesse, z.B. bei dem Meme wo Batman eine Frau schlägt. Da läufts mir jedesmal kalt den Rücken runter.

Ein weiterer Grund war aber auch, dass das Meme auf einer anderen Ebene weitergespunnen wurde; z.B. sah ich es in einem schwulen Kontext besetzt mit (weissen) Männern und irgendwelchen top-bottom-Stereotypen – oberflächlich, ich weiss, aber ich mochte, dass es herausgelöst werden kann. und dann sah ich noch eine ganze Fotostory zum Meme, wie die Geschichte weiterging: Die Frauen erkannten sich (von früher), gingen einen Kaffe trinken, küssten sich und heirateten am Schluss – Heiraten, Monogamie und die Objektivierung sind da natürlich immer noch enthalten.

Extra Pictures Show The Full Story Of The Distracted Boyfriend Meme

Ich habe mich gefragt, ob es einen Kontext gäbe, in dem Du das Meme akzeptabel fändest, weil es selbstreferenziell Kritik äussert. Ich dachte da an so eine (stark vereinfachte) Übersetzung:

Das Meme nennt sich «distracted Boyfriend Meme» und zeigt drei weisse Menschen, wahrscheinlich auf einem Bummel in der Stadt. Die männliche Person in der Mitte schaut/pfeift einer weiblichen Person nach, eine andere weibliche Person, die die Hand der nachpfeifenden Person hält, schaut empört zu ihr auf. Die Personen sind mit Text beschriftet: Die Person die wegläuft heisst «Distracted Boyfriend Meme», «Users» pfeift ihr nach «Feminism» schaut empört.

Distracted Boyfriend Meme in der selbstreferenziellen Version von Sascha.

Audio-Bildlegende:

Geneva:

Oh ja, an dieses Batman-Meme erinnere ich mich auch! Da ärgere ich mich jedes Mal drüber – so ein Bild wirkt irgendwie so ganz körperlich, merke ich.

Wow – das ist jetzt wirklich knifflig. Ehrlich gesagt, ist das sooo meta, dass ich viel drüber nachdenken muss:) Und ja, es gefällt mir tatsächlich und ich muss lachen. Was mir richtig gut gefällt, ist die Umkehrung von jealous girlfriend zu distractet boyfriend. Ich denke aber auch, dass es für Menschen, die mit nicht-feministischer Perspektive da drauf schauen, auch dieses Klischee von der feministischen Spassverderberin bedient. Die sind ja immer unzufrieden und meckern und finden lustige Dinge nicht lustig, sprich sind humorlos…. Was meinst du?

Gruss von der feminist killjoy 😉

Sascha:

Stimmt, das sehe ich selber sogar erst jetzt wo Du’s sagst: Die jealous Girlfriend ist nicht mehr jealous sondern empört, cool! Es freut mich, dass Du ein bisschen lachen konntest, aber ich verstehe auch, dass es (hoffentlich) keinen Kontext gibt, in dem Sexismus okay ist – auch wenn er so bespielt wird.

Ich denke sie sind tatsächlich oft Spielverderber*innen für eine sexistische, patriarchale, ableistische, rassistische, transphobe uvm. Welt. Und ja, ich sehe, dass es auch von einem Troll kommen könnte, di*er sich über Feminist*innen lustig macht und genau diese mecker-Frau foppen will. Schade.

Ich habe mir lange überlegt, wie ich das Meme (Tanz in Bern vs. Impulstanz) bringen könnte, ohne einen Sexismus zu bedienen.

Es ist nicht genau die gleiche Geschichte, aber ich glaube ähnlich genug.

Was hältst Du von diesem Vorschlag als Versuch es besser zu machen und Abschluss unserer Diskussion?

Das Meme nennt sich «Left Exit 12 Off Ramp» und zeigt ein Auto, das in letzter Sekunde eine Ausfahrt auf der Autobahn nimmt. Es hinterlässt Reifenspuren auf dem Asphalt und Rauch von dem verbrannten Gummi. Im Oberen Bildteil ist eine Autobahntafel zu sehen, ein Pfeil führt gerade aus, der Pfeil rechts bezeichnet die Ausfahrt. Das Bild wurde folgendermassen beschriftet: Das Auto heisst «Audience», der Pfeil gerade aus auf der Autobahn «Impulstanz», die Ausfahrt nach rechts heisst «Tanz in Bern».

Geneva:

Genau – die Rolle der feminist killjoy, wie Sara Ahmed es nennt, gehört zum Feminist*innen-sein irgendwie dazu. Das ist auch gut so. Aber die Trolle füttern mit einem Klischeebild, was sie ja nur zu gern weiterverbreiten… lieber nicht 🙂

Hey merci fürs Nachdenken über eine Alternative und das Meme-Basteln. Das finde ich witzig und ja, der Sexismus ist da definitiv raus😉.

Merci für den Austausch!

Sascha:

Gleichfalls!

Und um nochmals Deine Eingangsfrage zu beantworten: Ich glaube ich würde das Meme heute doch nicht mehr posten. Aber ich glaube auch, dass ich hier und da bei einer kreativen Aneignung noch schmunzeln werde, wenn ich es sehe. 😉

Alle Memes von Sascha in der Übersicht:

Fotocredits: Ben Mergelsberg
Stück: Jefta van Dinther: Dark Field Analysis
Bearbeitung: Sascha Rijkeboer

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