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Mit Clubkultur lässt sich keine Revolution machen. Aber die Szene erinnert sich an ihre egalitären Wurzeln.

DJs for Palestine! Ein paar Dutzend Clubkünstler*innen – darunter so bekannte Namen wie Four Tet, The Black Madonna, Caribou – gaben vor zwei Wochen ihren Israel-Boykott bekannt. Im Netz ging dann eine Debatte los über Moral und Kalkül, Politik und Haltung. Derweil in Amsterdam: Eine Petition mit 2000 Unterschriften verlangte, dass der deutsche DJ Konstantin nicht am ADE Festival auftreten darf. Konstantin war wegen einer kolportierten sexistischen Bemerkung ins Kreuzfeuer der Kritik geraten: Männer seien die besseren DJs als Frauen. Und fast gleichzeitig in Uganda: Simon Lokodo, der Minister für Ethik, schlug Sittenalarm. Das Nyege Nyege-Clubfestival verführe die afrikanische Jugend zur Homosexualität.

Wenn Raven politisch wird: Tanzdemo gegen Polizeiwillkür vor dem georgischen Parlament.

 

Clubkultur ist laut. Clubkultur ist bunt. Clubkultur eckt an. Als popkulturelle Lingua Franca hat sie sich erst in den letzten Jahren global etabliert. Und stösst vor allen Dingen in Ländern auf Widerstand, wo es um die Grundrechte kritisch bestellt ist. Im Iran, wo Tanzen zu Techno verboten ist. In China, wo in Clubs regelmässig Razzien stattfinden. In Georgien, wo die erzkonservative Kirche viel Einfluss hat. Techno ist in diesen Ländern ein Kulturschock.

Aber auch im liberalen Klima der Schweiz fürchtet das Bürgertum das Wummern des Basses, der ihnen in der teuren Altstadtwohnung den Schlaf raubt. Vielen begegnet im Alltag nur die Musik von David Guetta, Tiësto oder Robin Schulze, der Sound der Plastikperformer*innen, die mit ihren Plastikbeats die Plastikcharts bevölkern. Und wenn jährlich Bilder von der Street Parade in den Nachrichten kommen, sehen viele nur den selbstverliebten Exzess. Den Abfallhaufen. Die verramschte Ästhetik. Nicht aber, wie vielfältig die elektronische Szene heute ist. Wie hoch das künstlerische Niveau ist, trotz aller kommerzieller Auswüchse.

Und vor allem nicht, wie stark Clubkultur Identität stiftet: als Labor, das zum Beispiel den integrativen Groove der heutigen Schweizer Kulturpolitik vorweg nahm. Schon vor einem Vierteljahrhundert, als die Secondos zu einer massgeblichen Gestaltungskraft des Techno wurden, ehe der Sound Mitte der Neunziger in den Mainstream ging. Der Sohn italienischer Einwanderer Dario Mancini alias DJ Djaimin zum Beispiel: Mit seinen Partys in Montreux und einer Radiosendung auf Couleur 3 infizierte er eine ganze Generation mit dem House-Virus. Nicht nur in der Romandie.

In New Yorker Disco-Clubs wie der Paradise Garage und der Loft ging es indirekt um die gelebte Völkerverständigung, das Ablegen von Vorurteilen. Da ist der mythische «Jack», der Gründergott des House. Vor ihm waren sie alle gleich, die Tänzer*innen, egal ob schwarz, weiss, schwul, lesbisch oder hetero. Es ist kein Zufall, dass gerade die Queer-Partys in den letzten paar Jahren enorm an Aufwind gewonnen haben. Heute erinnert man sich wieder daran, dass House aus dem Ghetto kam. Dass der Club im Kern ein Zufluchtsort war, wo Schwule, Lesben und ethnische Randgruppen zu sich fanden. Und den Club erfanden sie gleich dazu, die Paradiesvögel und early birds der Nacht: als Möglichkeitsraum. Wo nicht der DJ im Zentrum stand, sondern das Kollektiv.

Keimzelle der gelebten Völkerverständigung: die Paradise Garage in New York.

 

Clubkultur beschwört die alles vereinigende Kraft der Bassdrum. Das grosse Miteinander der Nacht, wo soziale Unterschiede ausradiert werden. Wie so Gemeinschaft möglich wird, war im Mai am Rhizom in der Roten Fabrik in Zürich zu erleben. Ein dreitägiges, nicht Gewinn orientiertes Festival für Clubkultur, das sich mit einem Qualitätsprogramm wider die Verkommerzialisierung sträubt. Und schon seit ein paar Jahren stösst das Les Belles de Nuit-Festival immer wieder eine Gender-Diskussion in der Szene an. So weit entfernt davon der Massenauflauf Street Parade entfernt scheint: Im diesjährigen Motto «Culture of Tolerance» zitterte immerhin noch ein schwaches Echo des alten Raver-Credo vom «One Nation Under A Groove».

Mit Clubkultur lässt sich auch in Zukunft keine Revolution machen. Aber Clubkultur kann mehr als nur Abfeiern: Sie taugt zum Bullshit-Detektor. Sie schlägt aus, wo Gesellschaften intolerant oder ungerecht sind. Und sie ist Wünschelrute. Clubkultur ist immer einen Takt voraus.

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Credits

Ein Beitrag von Bjørn Schaeffner.

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