Während alle Welt sich auf das 100-jährige Jubiläum des Klassikers der modernen Tanzgeschichte schlechthin vorbereitet, tritt der Franzose Laurent Chétouane mit einer Opferung Igor Strawinskys «Le Sacre du Printemps» an.
Obwohl oder vielleicht weil Strawinskys «Le Sacre du Printemps» bei der Uraufführung 1913 zunächst auf Unverständnis und herbe Ablehnung stiess, inspirierte es zahlreiche ChoreographInnen, von Maurice Béjart bis Pina Bausch. In diesem Epochenstück der Moderne wird «das Fremde» mitten in die Gesellschaft platziert, eingegliedert und angepasst. Dadurch verliert es am Ende an Eigenart. Dem Verlust dieser Individualität widmet sich der mehrfach ausgezeichnete Choreograph und Regisseur Laurent Chétouane. Er stellt die brisante Frage, wie man das Fremde fremd lassen kann und setzt dieses Anliegen vielfältig um: Er nutzt das Werk als Fundament, lässt es in der Aufführung erklingen und fügt ihm Musik von Leo Schmidthals bei. Die Tänzer bleiben als Charaktere präsent und haben ein geradezu ambivalentes Verhältnis zur Musik. Sie bewegen sich eher zur Welt der Musik, als dass sie dazu «tanzen» würden. Ausserdem behalten Sie die Zuschauenden von Anfang bis zum Ende im Auge. So entsteht eine Choreographie, die Harmonie und Schönheit erschafft, gleichzeitig fremd und ungreifbar bleibt und subtil die Schuldfrage stellt. Chétouane entwirft eine Vision, die das Zusammenleben mit dem Fremden erlaubt und gerade auf der Basis von dessen Unintegrierbarkeit und Unrepräsentierbarkeit ermöglicht: die Opferung von «Le Sacre du Printemps» als ein neues Ritual für das fremdbelassene Fremde.
Laurent Chétouane (1973) ist in Frankreich geboren und gehört zu den umstrittenen Regisseuren des deutschen Theaters. Er studierte Ingenieur- und Theaterwissenschaften und choreographiert seit 2006. Seine Arbeiten sind geprägt durch die Zusammenarbeit mit Tänzern wie Matthieu Burner oder Joris Camelin. Chétouane ist heute zudem Künstlerischer Leiter für Dramaturgie in Frankfurt am Main und tritt als Gastdozent an weiteren deut- schen Universitäten und Hochschulen auf.