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Die Grundidee dieser sonderbaren choreografischen Politik-Fiktion basiert auf einem vokalen Syntethizer-Computerprogramm (Englisch Text to Speech), welches geschriebene Sprache in gesprochenen Text umwandelt. Ausgehend von dieser neuen Hörmaterie schafft Gilles Jobin subtile, ungewöhnliche akustische und tänzerische Manipulationen. Ein langer Arbeitstisch, Kabel, Computer, Bildschirme. Menschen sitzen an ihren Computern und arbeiten, wie im Cybercafé. Es dröhnt und brummt aus allen Ecken, auf Französisch, Englisch, Deutsch … Vom Internet heruntergeladene Texte berichten über eine Katastrophe nach der anderen: Protestantische Fanatiker haben Bern in ihre Gewalt gebracht. Die Schweiz verliert ihre Neutralität, verfolgt ihre eigenen Terroristen und befindet sich im Religionskonflikt mit dem Nachbarland Frankreich. Aufruhre, Demonstrationen, Bombenanschläge. Doch nicht in Bagdad oder Kabul, sondern bei uns …In «Text To Speech» hört man nicht voraufgezeichnete Texte, sondern es handelt sich um synthetische Stimmen welche die Nachrichten aus dem Internet live vorlesen. Die Flexibilität dieses Systems erlaubt es, die Texte von Tag zu Tag zu aktualisieren und anzupassen und sie in alle vorhandenen Sprachen des Systems zu übersetzen. Informationen oder einzelne Bestandteile davon werden vertauscht, ersetzt, verzerrt. Wie reagieren wir wenn Gewalt plötzlich ganz in unserer Nähe passiert, wenn der Krieg bei uns stattfindet, wenn unser Land schlagartig im Mittelpunkt der Weltgeschehnisse steht? Historische oder gegenwärtige Texte aus dem Internet, Stimmen, Musik und Tonvibrationen, Bildprojektionen auf Bildschirmen sind Teil der performativen Choreografie Gilles Jobins und schaffen eine einzigartige, poetische Landschaft, deren konkrete, plastische Bilder sich zwischen Realität und deren Verzerrung bewegen. Das Spiel mit den verfälschten Aussagen erzeugt eine Intrige zwischen Humor und Unbehagen. Mit scharfsinniger Abstraktion und hypnotischer Poesie hinterfragt der Choreograf die Auswirkungen aktueller Nachrichten auf den Zuschauer, deren Körper, deren Psyche, und spielt dabei mit Anschein und Wahrnehmung, mit Wirklichkeit und Fiktion. Der Genfer Gilles Jobin ist einer der wichtigsten Choreografen der Schweizer Tanzszene und steht in enger Zusammenarbeit mit der Dampfzentrale. Er ist ein passionierter Fremdgänger zwischen den Sparten und hat Zuschauer in über 23 Ländern begeistert: Frankreich, Brasilien, Deutschland, Portugal, England, Österreich, Italien, Spanien, Polen, Finnland, Tschechische Republik, Argentinien, Holland, Belgien, Kroatien, Finnland, Südafrika, Korea, Mozambique, Tunesien…«‹Text to Speech› erzählt, wie Sprache und Technologie auf Kunst einwirken. Jobin suchte einst eine neue Leichtigkeit des Tanzes, befreit von Sinnstiftung. Diese Freiheit aber hat der Tanz längst gewonnen. Nun Bilder, die den politischen Text verlängern. Kein Problem, denn die Mischung aus Kritik, Humor, Realismus, Abstraktion und Mythos stimmt.» (Thomas Hahn, ballettanz, 06/08)

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