Skip to content

Rote Farbe überzieht den Plan des Foyers der Dampfzentrale mit den feuerpolizeilichen Vorgaben für die Fluchtwege. Sicherheit ist oberstes Gebot in Gebäuden und häufig ein Verbot für Interventionen, die sie bedrohen. Doch Wünsche halten sich bekanntlich nicht gerne daran und suchen ihren Weg, um in Erfüllung zu gehen. Die vereinzelten weissen Felder innerhalb der roten Sperrzone reichten der Architektin und Szenografin Paula Sansano aus, um sich festzusetzen und den Raum zu infiltrieren. Ausgehend von drei vier Meter langen und zehn Zentimeter breiten Leisten führte sie Dutzende rot eingefärbte Silikonschläuche bis zur Decke. Sie verbinden sich zu drei grossen, dynamischen Formen, die mit ihrer Wirkung das ganze Foyer einnehmen und erfüllen. «Love matters» heisst die Installation und ist ein Plädoyer, nicht vor Verboten zu kapitulieren, sondern sie mit positiver, schöpferischer Energie auszureizen, zu dehnen, gar zu verdrängen, um sich und seinem Wunsch Raum zu verschaffen.

Foto: Rolf Siegenthaler

© Dampfzentrale Bern

Foto: Rolf Siegenthaler

Ich betrete das Foyer und gelange sogleich in die Mitte der Installation. Die drei Figuren scheinen sich um mich zu drehen. Sie winden sich in die Höhe, erstrecken sich in den Raum. Im Gegensatz zu den Bodenleisten sind die Schläuche an der Decke in einer Linie angebracht. Es entsteht eine weitere Drehbewegung innerhalb der einzelnen Figuren, die mit mir in Kontakt treten. Die Schlauchbahnen erzeugen einen Sog, nehmen mich auf, tragen mich mit und entziehen sich wieder. Sie führen über meinen Kopf, legen sich wie eine schützende Hand über mich und stossen mich dann in einem abrupten Richtungswechsel wieder ab. Die Figuren und ich werden zu Tanzenden. Wir treten in eine Beziehung, die sich mit jedem Schritt wandelt. Die Tanzenden, das sind Eros, Agape und Philia. Das Dreigestirn umfasst die wichtigsten Arten von Liebe: die erotische Anziehungskraft, die geistige Liebe und die seelische Verbundenheit.

Foto: Rolf Siegenthaler

Foto: Sabine Burger

© Studio Sansano

Mit Eros, Agape und Philia verwandelt sich «Love matters» in eine Allegorie der Liebe. Doch wie materialisiert sich diese vielgestaltige Liebe. Ist sie Materie? Hat sie eine Form? Wird sie sichtbar als Volumen im Raum? In «Love matters» zeigt sich die Liebe in einem dynamischen Beziehungsfeld von Formen und Kräften. Die etwas trägen Körper werden durch das Licht und die Torsion in Bewegung gebracht. Die rechteckigen Flächen verdrehen sich bis zu kegelförmigen Volumen. Die Schläuche verdichten sich und fächern sich wieder auf. Das Licht spielt auf ihnen wie auf einer Harfe und wechselt die Farbe des transluzenten Silikons von Rot zu Gelb, lässt das schwer entflammbare Material leuchten oder milchig opak erscheinen.

Foto: N° 224 – La mécanique des couples © Gilbert Garcin

Foto: N° 241 – Les premiers pas © Gilbert Garcin

Wenn die Liebe aus der Beziehung verschiedener Körper und Kräften entsteht, wie stark können wir diese kontrollieren respektive wie weit sind wir ihnen ausgesetzt? Der französische Fotograf Gilbert Garcin (*1929), der Paula Sansanos Arbeit inspirierte, hat unter dem Titel «La mécanique des couples» eine poetische, humorvolle Bilderreihe geschaffen, welche die Beziehung zwischen Paaren aus Sicht der Mechanik angeht. Seine mit Papier, Leim und Schere gebastelten surrealistischen Collagen, die er sodann fotografierte, zeigen ihn und seine Frau als Teile von Mechanismen. In einer Szene scheinen die beiden auf Schlittschuhen mehrere Male im Kreis gelaufen zu sein und entfernen sich nun in entgegengesetzte Richtungen voneinander. Waren sie so beschwingt, dass die Fliehkraft sie aus der Bahn geworfen hat oder zeigt das Bild eine bewusste Trennung? Ist die Spur eine Schnur, die beide wieder zusammenziehen wird, sobald sie ganz entrollt ist? In einer weiteren Szene sehen wir sie am Strand, ihre Hände und Füsse mit Fäden verbunden, die bis in eine Wolke führen. Die Fäden haben sich ineinander verzwirnt und die beiden aus dem Gleichgewicht gebracht. Auf einem Bein stehend, neigen sie sich einander zu und werden durch die Gravitationskraft gegen den Boden gezogen, während sie mit Arm und Beinen versuchen, das Gleichgewicht zu halten. Haben sie sich selber verdreht und in diese prekäre Situation gebracht oder wurden sie Marionetten gleich von einer äussern Kraft geführt?

In der Liebe wird man Teil einer Beziehung, die einen bestärkt, erotisiert, seelische und geistige Verbundenheit schenkt. Gleichzeitig öffnet man sich, setzt sich au s und wird verletzlich. Man überschreitet seine Grenzen und bewegt sich in unbekanntes Gebiet. Doch erst das Risiko setzt Kräfte frei und lässt Neues entstehen. Die raumgreifende Installation «Love matters» von Paula Sansano ist selbst ein schönes Beispiel dafür.

Foto: Sabine Burger

Credits

Paula Sansano

Paula Sansano ist Architektin und Szenografin. Sie führt das Studio Sansano in Bern mit Fokus auf architektonische Transformationsprozesse. Seit 2016 betreibt sie gemeinsam mit Nicola Schneller in der Berner Altstadt den Affspace – einen Ort für interdisziplinäre Auseinandersetzungen mit Architektur, Stadtentwicklung und verwandten Themen.

Jump to top of page