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«Loin…» ist ein ungewöhnliches Autoportrait. Während einer dreimonatigen Reise durch Vietnam wird dem Sohn algerischer Einwanderer klar, dass man ihn aus dortiger Sicht als den Sohn eines Kolonialisten betrachtet. Der Vater Ouramdanes war Soldat in Frankreichs ehemaliger Kolonie Französisch-Indochina. Rachid Ouramdane bereiste und erkundete anhand dessen Kriegstagebuchs jene Orte, die sich auf der Reiseroute seines verstorbenen Vaters befanden. Mit dem Videofilmer Aldo Lee hat er dreiundzwanzig Stunden Bildmaterial sowie Interviews mit zehn Gesprächspartnern aufgenommen. «Loin…» ist keine Reportage, sondern ein künstlerisches Verfahren, um die eigene Identität im Spannungsfeld postkolonialer Wirklichkeiten zu verorten. Ouramdane blickt in den Spiegel seiner eigenen Familiengeschichte. Es ist ein Blick in den Abgrund des Schweigens. Zwei schwarze Spiegel in Form von Blutlachen liegen auf der Bühne. Lautsprecher verbreiten Auszüge aus Interviews – unter den Befragten ist auch seine eigene Mutter auf dem Video zu sehen. Es geht um das tiefe Schweigen einer Generation, die Krieg geführt hat.Plötzlich versteht man, warum sich der junge Performance-Künstler, Tänzer und Choreograf in seinen Stücken immer am Rande der Stille bewegt, nach Wunden sucht und dessen Ursachen stets in politischen Konflikten und in der Gewalt des Krieges findet. Auch in seinem neuen Stück «Loin …» kann er – bei aller Sanftheit und Sensibilität – seine Wut nicht ganz verbergen. Seine Bewegungen sind äusserlich sanft, innerlich sind sie jedoch heftig, rhythmisch und rebellisch. Sein Körper erfährt Schocks, welche aus den Begegnungen mit den Spuren seines Vaters hervorgehen. Alles ist schwarz, das Gesicht von einer Ghettojugend-Kapuze halb verborgen. Die Spannung ist bis in die Zuschauerreihen spürbar. Trotz des vorsichtigen Versuchs, an intime Traumata zu rühren um seine Identität zu finden, scheint in Ouramdane innerlich ein Vulkan zu brodeln.Auf seiner Reise durch das ehemalige Kriegsgebiet wird Ouramdanes bisheriges Denken durch unerwartete Paradoxe in ein anderes Licht gerückt. Er tastet die dunklen oder auch hellen Labyrinthe der Erinnerung ab. Der Künstler sucht in seinem Körper Spuren der Aufsplitterung, der Gegensätzlichkeiten und der Verlagerung. Die Reise macht die Infragestellung der eigenen Innerlichkeit zur Kunst. Genau wie die Identität hat auch die Erinnerung nichts Definitives und auch nichts Einmaliges: Sie ist nichts anderes als eine neue Zusammensetzung von Verbindungen in der Gegenwart.«Das hohe Mass an Sensibilität, der komplexe Unterbau und der dunkel faszinierende Überbau heben den Weggefährten von Meg Stuart und Christian Rizzo immer mehr als visionären Künstler und Tanzautor hervor. Die Videos von Aldo Lee und die Kostüme von La Bourette liegen auf derselben Wellenlänge, sodass ein grafisches Gesamtkunstwerk ensteht». (Thomas Hahn, ballettanz, 08/2008)Das Gastspiel in Bern wird von «France Danse Europe» unterstützt.

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